Gefrorene Wasserfälle gehören im Winter zu den beeindruckendsten Landschaftsdetails der Hochgebirge. Starker Frost formt das im Fallen gefrorene Wasser zu mächtigen Zapfen und Vorhängen aus Eis. Auch wenn die meisten der Kanarischen Inseln Hochgebirgsregionen besitzen, suchen wir hier Eisfälle vergeblich. Die Ergiebigkeit hiesiger Hochgebirgsquellen war nie groß genug und trotz möglicher Frosttemperaturen werden die notwendigen Kältegrade nie erreicht. Etwas Analoges aus dem Bereich des Vulkanismus gibt es auf Teneriffa, und zwar genau dort, wo sich die Besuchermassen seit Beginn des Massentourismus fast schon zwangsläufig gegenseitig auf die Füße treten: bei den Roques de García im Nationalpark.
Den bekanntesten Wanderweg der Insel rund um die markante Felsengruppe kann niemand verfehlen. Zahlreiche grüne Markierungstafeln mit der Ziffer 4 und die vielen Besucher zeigen schon weit voraus an, wo es lang geht. Absperrketten vor den Felsen verhindern seit vielen Jahren den Zugang in dieses höchstempfindliche Gelände, das – einst weniger geschützt – unter den Tritten von Millionen von Besuchern schwerst geschädigt wurde und sich nur äußerst langsam erholt. Jede Hochgebirgslandschaft ist sehr empfindlich, gerade weil die Lebensbedingungen dort so hart sind. Für subtropische Inseln mit Hochgebirge gilt das noch mehr. Wer hier das auf zahlreichen Informationstafeln verkündete Wegegebot ignoriert und nach eigenen Vorstellungen durch die Landschaft läuft, trägt – bewusst oder nicht – zur Zerstörung dieser einmaligen, aber leider kaum regenerationsfähigen Landschaft bei.
Umrundet man die Roques gegen den Uhrzeigersinn, beginnt die Route seit Kurzem mit einem rollstuhlgerecht angelegten Abschnitt ohne den für dieses Gelände typischen unregelmäßigen Untergrund. Kurz nachdem dieser Teil endet, lohnt es sich, den Blick von den beiden großen Vulkanen, Pico del Teide und Pico Viejo, und auch von den Felsgestalten auf der linken Seite mehr auf die Details zu richten. Rechts von uns befindet sich eine kleine, etwas geneigte Ebene aus dunklen, rundlichen Basaltkissen mit relativ glatter Oberfläche. Dahinter verläuft in der gleichen Richtung ein rotbrauner, blockiger Damm, während hinter uns die Roques aus hellerem, leicht rötlichem Gestein aufragen. Die dunkle Lava liegt auf ihnen und muss daher jünger sein. Am jüngsten ist der rotbraune Wall; denn er liegt auf der dunklen Lava. Deren Alter kennt man sehr genau: 27.000 Jahre. Die Roques hingegen sind Reste wesentlich älterer Vulkane. Rund 1.000.000 Jahre oder auch mehr geben ihnen die Geologen. Der Pico del Teide begann seine Aktivität vor etwa 175.000 Jahren. Der deutlich jüngere Pico Viejo begann als Seitenvulkan seines größeren und älteren Bruders, der damals schon weitgehend inaktiv war.
Die dunkle, glatte Lava stammt vom Pico Viejo. Als sie aus seinem Krater in ungefähr 3000 m Höhe austrat, war sie sehr heiß, etwa 1.200 °C, und sehr dünnflüssig und konnte sich so in relativ dünnen Schichten über große Flächen ausbreiten. Entsprechend finden wir sie an verschiedenen Stellen der Insel: Bei Santiago del Teide, bei Icod de los Vinos und hier im Nationalpark. Meistens ist sie allerdings von der Lava jüngerer Eruptionen überdeckt. Aber wo sie zutage tritt, ist sie interessant. Sie ist so glatt, dass man gut darauf laufen kann. Auf den Kanaren ist sie eher selten. Hier war die austretende Lava meistens kälter und zähflüssiger und bildete im Erkalten wüste Blockfelder, die man „Malpaís“ nennt. Auf Hawaii hingegen ist die glatte Lava sehr häufig. Die dortigen Eingeborenen nennen sie in ihrer Sprache „Pahoehoe“, was „Lava, auf der man barfuß laufen kann“ bedeutet. Die Fachwelt hat diese Bezeichnung längst als Begriff übernommen. Im Kontakt mit der Luft kühlt die Oberfläche dieser Lava schnell so weit ab, dass eine Art plastischer Haut entsteht. Nachfließende Lava bläht sie etwas auf. An Schwachstellen reißt die Haut, flüssiges Material tritt aus, überfließt das ältere Paket und überzieht sich mit neuer Haut. Meistens sind die Risse in der dünnen Haut begrenzt und die austretende Lava formt an Finger erinnernde Gebilde. Solange sie so heiß und so flüssig ist, setzt sich dieser Vorgang fort und lagert sich Schicht auf Schicht. Meistens sind sie nur etwa 20 cm dick und bleiben voneinander getrennt. Die Schichtpakete wiederum können sehr mächtig werden.
Nur wenige Minuten von dieser ersten Stelle entfernt erkennt man den vom Pico Viejo herabgeflossenen Strom der Pahoehoe-Lava gut. Bei den Roques hat er sich geteilt. Ein Arm floss nach links in Richtung Nordosten. Dort sind wir ihm bereits begegnet. Sein Gefälle ist nur mäßig; denn in dieser Region hatten sich schon die Lavaströme ungezählter Eruptionen an den Steilwänden der Cañadas gestaut und die Hochebene geschaffen, über die sich damals dieser Arm ergoss. Der andere Arm floss zwischen den letzten Felsen der Roques hindurch. Jenseits davon war die Auffüllung der Senke wesentlich weniger weit gediehen als nördlich der Felsen. Es ging und geht noch heute in mehreren großen Stufen etwa 100 m abwärts in die Ucanca-Ebene. Es muss ein beeindruckendes Schauspiel gewesen sein, als dort die Lava den Hang hinunterschoss. Wäre statt der Lava dort Wasser geflossen, hätte nahezu seine gesamte Menge die Ucanca-Ebene erreicht, und die alten Felsoberflächen wären am Hang noch heute sichtbar. Pahoehoe-Lava kann zwar ähnlich wie Wasser einen Hang abwärts fließen, in ihrem Inneren herrschen aber wesentlich höhere Kohäsionskräfte, mit denen die einzelnen Partikel aneinanderhaften. Kommt die Eruption zum Stillstand und endet der Lavanachschub, hört die Lava auf, zu fließen und erstarrt an Ort und Stelle. Deshalb können wir auf unserem Weg abwärts leicht die dunklen Lavafinger erkennen, die die ganze Wand dort überziehen, wo vor 27.000 Jahren eine glühende Kaskade der Schwerkraft folgte.
Oben auf der erstarrten Kante stehend folgt unser Blick dem einstigen Lavastrom. Später erkennen wir vom Weg aus von der Seite gut die tatsächliche Steilheit der oberen Kaskade zwischen den Felsen. Unterhalb ist das Gefälle deutlich geringer. Dort quert der Weg den Strom und gibt uns Gelegenheit, das Gehen auf Pahoehoe zu spüren. Weiter unten folgt dann die zweite, nicht ganz so steile Kaskade.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top