Auf dem Weg in die Neue Welt

Das deutsche Schulprojekt „Klassenzimmer unter Segeln“ auf dem Traditionssegler Thor Heyerdahl

Endlich haben wir es geschafft. Nach drei Wochen auf See, einer Woche in der Werft, einem halbem Jahr des sehnlichen Wartens und der Vorbereitung sowie einer langen Bewerbungsphase liegen wir nun endlich mit unserem Schiff – der Thor Heyerdahl – im Hafen von Santa Cruz de Tenerife.

Hier genießen wir – die KUSis – nun unseren lang ersehnten ersten offiziellen Landaufenthalt und erkunden in Scharen die Stadt.

Aber beginnen wir einmal ganz am Anfang, denn bestimmt sind Sie gerade über das Wörtchen KUSi gestolpert. Wir KUSis sind die 34 überglücklichen Schüler, die die einmalige Chance erhalten haben, die zuweilen öde Schulbank in Deutschland für ein halbes Jahr gegen ein „Klassenzimmer unter Segeln“ einzutauschen. Klassenzimmer unter Segeln – KUS. Das ist der Name dieses pädagogischen Projektes, der Name des Abenteuers unseres Lebens. Denn wir leben nicht nur auf einem Schiff und arbeiten im Schiffsbetrieb mit, sondern folgen den Spuren Christoph Kolumbus‘ und Alexander von Humboldts, überqueren dabei den Atlantik, um in die Karibik zu reisen und diese – für uns – zu entdecken. Wir werden den Teide auf Teneriffa besteigen, Biologieunterricht direkt an einem Riff in Grenada genießen, verschiedene Stämme von Ureinwohnern in Panama besuchen und die Auswirkungen der Geschichte Kubas bei einer Rundreise auf dem Fahrrad hautnah erleben. Wir werden lernen, unseren Dreimast-Toppsegelschoner nur mithilfe astronomischer Navigation zu den Bermudas zu segeln, werden Wale auf den Azoren beobachten und nach einem halben Jahr mit einem wahren Schatz an Erinnerungen und Erfahrungen wieder in Kiel einlaufen.

Dort werden wir unsere Schullaufbahn wieder fortsetzen, was möglich ist, da dieses Projekt ein offizielles Schul- und Forschungsprojekt der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen ist. Sie und der Förderverein AlumniKus ermöglichen uns Zehntklässlern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, unsere Neugierde auf ferne Länder und Kulturen zu stillen, zu lernen, Verantwortung für andere und uns selbst zu übernehmen, unsere eigenen Grenzen kennenzulernen und immer wieder neu über diese hinauszuwachsen. Dieser Förderverein ermöglicht mittels Stipendien ebenso, dass das Projekt allen interessierten Schülern zugänglich ist, unabhängig von dem Einkommen der Eltern.

So kam es, dass wir 34, die das Auswahlverfahren erfolgreich durchlaufen hatten, am 13. Oktober, ein halbes Jahr nach dem Probetörn, gespannt bis in die Haarspitzen zusammen mit allem, was wir in den nächsten 190 Tagen zum Leben auf See bräuchten, nach Kiel zur Werftzeit reisten.

Schon jetzt konnten wir es kaum erwarten, endlich loszusegeln. Doch leider musste der für den 17. Oktober geplante Aufbruch in die Neue Welt um eine Woche verschoben werden, da bei einer Routineüberprüfung ein Problem an unserer Hauptmaschine – liebevoll Olga genannt – entdeckt wurde und dieses erst behoben werden musste. Aber auch so etwas – das lernten wir schnell – gehört dazu. An Bord eines Segelschiffes gibt es Dinge, von denen man abhängig ist und an die man sich anpassen muss. Geduld, so ermahnte uns der Kapitän, sei die wichtigste Eigenschaft eines Seemanns. So nutzten wir die Zeit, um bereits an Land mit der seemännischen Ausbildung zu beginnen. Wir wurden in den Schiffsbetrieb eingeführt, befassten uns mit der Theorie des Segelns und der Sicherheit an Bord.

Am 27. Oktober brachen wir dann endlich auf nach Süden. Nachdem wir den Nord-Ostsee-Kanal durchfahren hatten, segelten wir in Rekordtempo durch die Nordsee und anschließend durch den Ärmelkanal bis nach Falmouth. Dieser Hafen ist seit jeher in der Seefahrt der letzte Stopp, bevor es auf große Fahrt auf die Meere der Welt geht. Dort bunkerten wir Diesel, und wir Schüler nutzten die Chance, uns reichlich mit Schokolade einzudecken, die herbstliche Sonne am Strand zu genießen und als kulturellen Höhepunkt Fish & Chips zu probieren. Für uns kam dieser Aufenthalt der sprichwörtlichen Ruhe vor dem Sturm gleich. Denn nach zwei Nächten im Hafen ging es weiter, hinein in die Biskaya, wo wir erneut einen Rekord aufstellten. Vor uns hatte nämlich noch kein KUS-Jahrgang so lange in dieser stürmischen und nassen Hölle mit ihrem gefürchteten unruhigen Seegang verbracht. Warum wir so lange gebraucht haben? Leider kam der Wind mit einer Stärke von bis zu acht Windstärken aus Südwesten. Das bedeutete für uns direkten Gegenwind, der die Thor unerbittlich von einem Wellental ins nächste schlagen ließ. Der Gegenwind führte außerdem dazu, dass wir teilweise Zickzack, Kreise oder auch – bei der Drehzahl unserer Olga kaum zu glauben – rückwärts fuhren, der Seegang hingegen, dass die Hälfte von uns regelmäßig seekrank über der Rehling hing und sich magenschonend von Zwieback ernährte.

Doch dann, als wir bereits alle ausgelaugt und müde waren, passierten wir das Kap Finisterre, von Seefahrern aus Süden kommend auch Kap Finsternis genannt, welches für uns das Kap der Helligkeit darstellte. Von da an drehte der Wind, und der Himmel riss auf. Außerdem fanden wir Freunde, die uns auf unserer Reise seither immer wieder eine Weile begleiteten. Regelmäßig erschallten Rufe: „Delfine an Steuerbord! Wale an Backbord!“ Darüber wurden Heimweh und all die Übelkeit vergessen, besonders als sich durch unsere ersten Spanischstunden die Vorfreude auf Teneriffa steigerte. Vor allem als die Projektgruppe „Kulinarische Weltreise“, eine von fünf Schülerprojekten an Bord, uns ein leckeres spanisches Menü servierte, konnten wir es kaum noch abwarten, die Insel des ewigen Frühlings zu erreichen. Diese Projektgruppen, vergleichbar mit AGs an unseren heimischen Schulen, ergänzen den regulären Unterricht, welcher nach Teneriffa richtig beginnen wird.

Nun liegen wir endlich im Hafen von Santa Cruz und erkunden die Insel. Nachdem wir am Montag angekommen waren, nutzten viele die Freizeit, nach drei Wochen ohne Kontakt nach Hause und ohne Handy mit ihren Eltern zu skypen und die Briefe zu lesen, die den kanarischen Stopp bereits vor uns erreicht hatten.

Wir bestiegen auch den Teide. Allerdings fiel hierbei die geplante Übernachtung in der Schutzhütte und damit die Besteigung des Gipfels weg, weil wir ja zu spät losgekommen sind. Dennoch war es ein wundervoller Ausflug, bei dem wir auch viel über Vulkanismus und die Vegetationszonen der Insel mittels Referaten aus den eigenen Reihen erfahren haben.

Jeder von uns hat vor der Reise ein Referatsthema zugewiesen bekommen, welches wir im Laufe der Reise unseren Mitschülern vorstellen. In Santa Cruz müssen auch Schiffsarbeiten geleistet werden, mit denen unser schwimmendes Zuhause instand gehalten wird, außerdem beziehen wir die Kammern für die Atlantiküberquerung neu, damit wir die Möglichkeit haben, jedes Mitglied unserer KUS-Familie näher kennenzulernen.

Beim Besuch des Museums in Güímar erfuhren wir viel über das Leben und die Forschungsreisen des Namensgebers unseres Schiffes. Mit diesem ist unser Kapitän Detlef Soitzek übrigens als junger Mann auf der Tigris-Expedition unterwegs gewesen, was ihn so prägte, dass dieses Schiff und ein großartiges Projekt für Jugendliche entstehen konnte.

Am 18. November brechen wir zur großen Atlantiküberquerung auf, die für uns das nächste Abenteuer auf der großen Reise sein wird. Hoffen wir, dass der Landaufenthalt dort ebenso schön wird wie hier auf Teneriffa.

Anmerkung der Redaktion: Die Thor Heyerdahl ist Ende November nach ihrem Zwischenstopp in Santa Cruz de Tenerife in Richtung Karibik aufgebrochen. Der Bericht von KUS-Schülerin Lara wurde uns von Bord zugeschickt.

Am 26.11.15 schrieb Projektleiterin Dr. Ruth Merk im Logbuch: „Seit Teneriffa sind wir unter Segeln und fuhren bisher mit durchschnittlich 5,7 kn Richtung Karibik. Die erste Schulwoche liegt nun fast hinter uns. Aufgrund des starken Windes und Seegangs fand der Unterricht bisher noch unter Deck statt.“