In 16 Großstädten nehmen die Menschen an Kundgebungen gegen Korruption und Privatisierung des Gesundheitswesens teil
Ärzte, Lehrer, Feuerwehrleute, Geschädigte durch Vorzugsaktien und Hypothekenschulden, Mitglieder der 15-M-Bewegung, Repräsentanten von politischen Parteien wie Vereinigte Linke oder Equo, Jugendliche und Rentner, eine Flut von Tausenden Menschen gingen am 23. Februar in 16 spanischen Städten auf die Straße, um gegen einen gemeinsamen Feind zu protestieren: die Regierung.
Madrid – Das Leitmotiv war auf ungezählten Spruchbändern zu lesen: „Gegen Einsparungen und für echte Demokratie“.
Die sogenannte Vereinigte Flut der Bürger, die sich aus mehr als 300 Interessenverbänden und Vereinigungen zusammensetzt, hatte zu diesem landesweiten Protest aufgerufen und absichtlich den 23. Februar gewählt. An diesem Tag vor genau 32 Jahren fand der gescheiterte Überfall auf den Spanischen Kongress statt. Und die Sparpläne, die große Not über das Land gebracht haben, seien ebenfalls ein Anschlag auf das spanische Volk, doch dieses Mal komme er von den Märkten, heißt es aus Kreisen der Veranstalter.
„Am 23. Februar 1981 hatte ich große Angst, weil ich dachte, die Franquisten würden zurückkehren. Jetzt habe ich Sorgen, dass sich die Lage noch weiter verschlimmert und meine Söhne keine Arbeit finden“, berichtet ein 66-jähriger Teilnehmer der Kundgebung. „Damals ging es um einen Militärschlag, jetzt erleben wir einen sozialen und wirtschaftlichen Anschlag“, fügt ein 72-Jähriger hinzu. „Diese Regierung hat alles weggefegt, was wir in Zeiten der Demokratie erreicht haben, und wir werden noch weiter leiden müssen. Daher gehen wir gemeinsam auf die Straße und protestieren gegen die Streichungen und gegen die Korruption dieses Mannes, dessen Namen die PP nicht aussprechen will: Bár-ce-nas.“
Die beiden Rentner haben im letzten Jahr an einem Dutzend Protestaktionen teilgenommen. In Madrid hat die Zahl derartiger Kundgebungen 2012 um 74 Prozent zugenommen. Auch bei der Protestaktion vom 23. Februar waren wieder ungezählte weiße Kittel zu sehen, weil die Ärzte gegen die starken Beschneidungen im Gesundheitswesen protestieren. Die große Zahl von Menschen in grünen Hemden, das sind die Dozenten und Lehrer, die gegen Privatisierungen des Erziehungswesens Alarm schlagen. Und die schwarzgekleideten Teilnehmer sind die Angestellten der öffentlichen Dienste, die gegen Lohnkürzungen und Massenentlassungen protestieren. Im „Schilderwald“ der mitgeführten Transparente machte sich eine Neuigkeit breit: Neben dem Wort NO mit der Schere waren viele Schilder mit einem Briefumschlag zu sehen auf dem als Absender „Bárcenas“ stand. Ein Hinweis auf die Umschläge mit Schwarzgeld, welche der Schatzmeister verteilt haben soll. Einige Teilnehmer des Protestmarsches hatten sich sogar fantasievoll als Briefumschläge verkleidet. „Es gibt Leute, die glauben, dass dies alles nichts bringt und Rajoy auch morgen noch in seinem Sessel sitzt. Doch umso mehr wir sind und umso öfter wir protestieren, umso weniger können sie uns ignorieren“, erklärt ein Student.
Die Teilnehmer riefen in Sprechchören „Rücktritt, Rücktritt“, sie sangen und streckten während einer Schweigeminute die Hände in die Höhe. Vertreter der verschiedenen Protestmärsche, die am Neptunsplatz, ganz in der Nähe des Kongresses zusammentrafen, verlasen Erklärungen und schließlich ein gemeinsames Manifest gegen den Druck der Finanzmärkte und die brutale Sparpolitik, gegen die Korruption und den Verlust der Legitimität der Institutionen.
Ein großes Polizeiaufgebot mit 1.400 Spezialbeamten war in Madrid zusammengezogen worden und kontrollierte den Protestzug. Es kam jedoch nicht zu schwereren Zwischenfällen. Einige Teilnehmer warfen Steine, welche die Absperrungen durchbrachen, die das Parlamentsgebäude schützen sollten.
Auch in Barcelona nahmen Tausende an der Kundgebung teil. Sie zogen mit dem Ruf „Wir werfen sie raus“ durch die Hauptstraßen der Stadt. Auf Plakaten solidarisierten sie sich mit Esther Quintana, einer jungen Frau, die kürzlich durch Gummigeschosse der Polizei ein Auge verloren hatte. Im nordspanischen San Sebastián hielt auch ein starkes Schneetreiben die Menschen nicht davon ab, an den Protesten teilzunehmen.
In Valencia führte der Marsch am Haus des Ex-Präsidenten der Regionalregierung, Francisco Camps vorbei, dem Verbindungen zum Korruptionsnetz Gürtel vorgeworfen werden.