» Pino Breado, Pino Jurado «
Groß und mächtig stehen sie da, trotzen Stürmen und sind oft schon Hunderte von Jahren alt. Mehr als sechzig Meter Höhe und bis zu zehn Meter Stammumfang erreichen sie. Einige wie der legendäre Pino de Dornatijo, bei dem einst alle Reisenden auf dem Weg zum Teide Rast einlegten, erlangten Berühmtheit, bis sie dann doch der Sturm fällte. Oder auch der Pino de la Victoria, unter dem 1495 nach dem endgültigen Sieg der Eroberer über die Guanchen die Weihnachtsmesse gelesen wurde. Eine Zeitlang diente einer seiner Äste als Glockenturm. Und ein einziger dieser gewaltigen Stämme reichte aus, um das Holz zu liefern, aus dem die Vorgängerkirche der heutigen Kathedrale in La Laguna ihr Dach erhielt. Rund vierzig besondere Exemplare wurden allein auf Teneriffa zu Naturdenkmalen erklärt. Hin und wieder ist ihre Basis an einer Seite angekohlt, andere sind hohl und auch inwendig verkohlt, ein paar wenige wie der Pino Furado bei Icod de los Vinos haben ein Loch im Stamm, durch das man bequem hindurchgehen kann. Diese eigenartigen Besonderheiten finden wir auch bei Kanarenkiefern, die es noch nicht zum Denkmal gebracht haben. Denkwürdig sind sie dennoch als Zeugen längst vergangener Techniken.
Seltener sind die Pinos jurados, die durchlöcherten Kiefern. „Jurado“ hat in diesem Fall nichts mit einem Schwur oder einem Gericht zu tun, sondern ist ein Produkt des kanarischen Dialekts. Aus agujereado = durchlöchert wurde jurado, meint aber auch nichts anderes. Die Löcher wurden in Bäume geschlagen, bei denen man nicht sicher war, ob sie ausreichend von dem rötlichen und harten Kernholz (Tea) gebildet hatten. War dies der Fall, wurden sie gefällt und zu Bauholz verarbeitet. Die berühmten Decken kanarischer Kirchen mit ihren aufwendigen Mustern im Mudéjar-Stil sind daraus ebenso gemacht, wie die Holzsäulen und Innenbalkone der Patios, die wir heutzutage in manchen Palästen La Lagunas bewundern können. Tea ist hart, so schwer, dass es im Wasser untersinkt, und äußerst harzreich. Das Harz verhindert seinen Befall durch Schädlinge. Wer heute in seinen Möbeln oder Teilen seines Hauses den Holzwurm hat, kann leicht ermessen, wie begehrt dieses Holz war. Es ist nahezu verwitterungsbeständig und schädlingsresistent. Für den Schiffsbau war es zu schwer. Dafür nutzte man lieber das hellere und leichtere Splintholz. Da man für Tea bessere Preise erzielte als für Splintholz, lohnten sich das Fällen und der Abtransport mancher Bäume nicht. So stehen sie heute als Pino jurado in der Landschaft.
Die angekohlten Stämme weisen auf die früher sehr verbreitete Gewinnung von Baumharz hin. Im Gegensatz zu heute spielte sie früher eine bedeutende Rolle auf den Kanaren. Natürliches Harz ist Ausgangsstoff von Terpentin und damit Lösungs- und Bindemittel für Farbpigmente und Lacke. Violinspieler benötigen für ihren Bogen Kolophonium, eingedicktes Baumharz. Und schließlich ist auch Pech nichts anderes als mehr oder weniger stark verunreinigtes Kolophonium. Die Harzsammler entfernten im unteren Stammbereich ein größeres Rindenstück. Oftmals legten sie dazu einen senkrechten Schnitt an, den sie seitlich erweiterten. Der Baum versuchte, die Verletzung mit Harz zu verschließen.
Dass manche Baumarten reichlich Harz besitzen, hängt nicht mit der Vorsorge gegen mögliche Verletzungen zusammen, sondern mit der Abwehr von Schädlingen, die sich unter die Borke oder ins Holz bohren. Früher oder später öffnen sie dabei einen Harzgang und kommen in dem hervorquellenden Harz um. Gesunde Bäume werden deswegen selten von solchen Plagen heimgesucht. Ob die Öffnung des Harzkanals durch ein Insekt oder durch einen Axthieb verursacht wurde, unterscheidet der Baum nicht. Er lässt Harz austreten, das am Stamm heruntertropft und -fließt. Ein unten angebrachtes Brettchen oder Blech leitet das Harz in ein kleines Auffanggefäß. Ursprünglich schuf der Harzsammler unten am Stamm eine kleine Vertiefung, die er mit Lehm auskleidete, der beim Trocknen zu einem kleinen Töpfchen wurde. Dieses wurde später mitsamt der Harzbeute mitgenommen und zu hochwertigem Pech (brea) verarbeitet.
Während des Sommers produzieren kanarische Kiefern nur wenig Harz. Mit einem kleinen Feuer direkt am Holz ließ sich aber die Ausbeute deutlich steigern. Es musste klein und unter Kontrolle bleiben, damit kein Waldbrand entstand. Deswegen befinden sich diese Stellen meistens auch auf der windabgewandten Südwestseite der Stämme. Die betreffenden Bäume lieferten bei dieser Behandlung jahrelang reichlich Harz. Ihr Holz war anschließend nur noch von minderer Qualität und wurde zu Brennholz verarbeitet.
Als sich die Harzgewinnung und die Pecherzeugung mit Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr lohnte, blieben diese Pechbäume = Pino breado stehen. Da um sie herum aufgrund des hohen Brenn- und Bauholzbedarfs auf den Inseln kaum noch andere Bäume standen, blieben sie mehr oder weniger vereinzelt zurück und sind heute in der Regel mindestens 150 Jahre alt. Seit den 1940er- Jahren setzte die staatlich gesteuerte Wiederaufforstung ein, sodass wir heute die pinos breados in den Wäldern antreffen. Ihre jüngeren Nachbarn sind aber allenfalls halb so alt. Da die gesamte Corona Forestal unter Naturschutz steht und ihre Nutzung nur sehr eingeschränkt und unter Auflagen erlaubt ist, haben wir hier heute keine Gelegenheit mehr, aktive Harzsammler bei der Arbeit zu beobachten. Auf der spanischen Halbinsel wäre das gut möglich; denn Harz wird nach wie vor benötigt. Mit Feuer arbeitet dort allerdings niemand. Das war eine kanarische Spezialtechnik und genau auf den Pino canario zugeschnitten.
Michael von Levetzow
Tenerife on Top
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