Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Kennen Sie den „Oscar“-prämierten Film „Das Leben der Anderen“? Er erzählt die Geschichte, wie ein Paar systematisch überwacht und bespitzelt wird. Der Geheimdienstmann hört alles, auch wenn die beiden im Bett liegen. Ein anderer verfolgt sie, sobald sie aus dem Haus gehen.
Dass Briefe geöffnet und Telefongespräche abgehört werden, das versteht sich fast schon von selbst. Je länger der Film läuft, desto mehr spürt man eine bedrohlich-beklemmende Atmosphäre. Niemand wird verschleppt oder gefoltert, aber Menschen werden mürbe gemacht. Der Mann verzweifelt daran immer mehr, die Frau tut unter Druck Dinge, für die sie sich später schrecklich schämt. Eine Beziehung wird zerstört. Ein Mensch stirbt.
Vor 60 Jahren, also 1950, wurde das sogenannte Ministerium für Staatssicherheit in der DDR, kurz Stasi genannt, gegründet. Dieser Geheimdienst sorgte vor allem im eigenen Land für viel Angst und Schrecken. Mehr als 100.000 verdeckte Mitarbeiter hatte dieses Ministerium; Menschen, die im Kollegenkreis geschnüffelt, Freunde verraten und in der Schule oder an der Universität Notizen gemacht haben. Sie schufen ein Klima des Misstrauens und der Angst. Sie beeinflussten Biographien und brachten Menschen ins Gefängnis.
Der Film gibt keine Antwort auf die Frage, wie die Stasi-Männer zu ihrer Tätigkeit gekommen sind. Manche waren sicher mit gutem und ehrlichem Gewissen davon überzeugt, mit dieser Arbeit das Richtige zu tun. Sie wollten in der DDR eine bessere Welt verwirklichen; eine sozialistische Welt, die viele von klein auf eingetrichtert bekamen und die nie etwas Anderes denken durften. Andere wiederum haben die Macht des Geheimdienstes geschickt genutzt, um auch ihre ureigenen Interessen durchzudrücken. Wieder andere wurden erpresst und mit unfairen Mitteln dazu gebracht, für die Stasi diese Spitzeldienste durchzuführen. Die, die damals Schuld auf sich geladen haben, das waren Menschen wie Sie und ich. Aus Überzeugung oder aus Schwäche, weil sie da hineingeraten sind oder weil sie sich einen Vorteil verschaffen wollten. So kann es mitunter gehen – und so etwas wird es immer wieder geben. Ich möchte jedenfalls behaupten: Niemand von uns kann mit absoluter Sicherheit sagen, das dies ihr oder ihm nie passieren würde.
In Schuld verstrickt zu sein, das ist das eine; noch wichtiger aber ist: Wie geht man damit um? Viele der ehemaligen Agenten verschwanden nach dem Ende der DDR ganz kleinlaut von der Bühne. Sie wollten nicht darüber nachdenken, ob sie vielleicht etwas falsch gemacht hatten. Sie schoben die Verantwortung ab nach dem Motto: „Wir hatten eben keine andere Wahl.“ Manche hielten ihre Schuld oder die neue Zeit nicht aus und nahmen sich das Leben. Nur sehr wenige traten nach 1989 ihren Opfern oder auch der breiteren Öffentlichkeit gegenüber und baten um Entschuldigung.
Gott sei Dank haben die Stasi-Machenschaften ein Ende gefunden. Aber die Frage von Schuld und Verantwortung, der kann niemand entrinnen. Das betrifft ja auch jede und jeden von uns. Wir alle kennen Schuld. Manchmal sind wir Opfer geworden, manchmal waren wir schuldig. Die eine handelt unüberlegt, der andere voll Berechnung und mit Plan. So kennen wir alle Betrug und manchmal auch Gewalt. Und – wir wissen, wie sie zu benutzen sind: Die Worte, die verletzen; die Taten, die weh tun. Gegenüber Fremden, aber auch gegenüber Bekannten, Familienmitgliedern und Freunden. Es ist oft verdammt schwer sich selbst einzugestehen: „Ich bin schuldig geworden“ – und noch schwerer ist es, darüber zu sprechen. Da hört man dann oft: „Ich war’s doch gar nicht.“ Oder: „Das ist halt so passiert.“ Aber was man verschweigt, das ist ja trotzdem da und liegt einem auf der Seele. Und wenn man darüber reden könnte, dann würde es einem vielleicht leichter.
In dem Film „Das Leben der Anderen“ erfahren wir, dass Versöhnung möglich ist, auch über große Schuld hinweg: Der Stasi-Mann kann in dem Film irgendwann nicht weiter. Statt das Paar pflichtgemäß zu überwachen, fälscht er die Abhörprotokolle und schützt sie. Er hat nicht den Mut, direkt auf seine Opfer zuzugehen und sie um Verzeihung zu bitten. Aber mit seinem Tun kehrt er um und zeigt Reue. Das hilft dem bespitzelten Schriftsteller, seine Verzweiflung zu überwinden. Vorher war er wie gelähmt und konnte nicht mehr schreiben. Doch nun ist der Damm gebrochen. Er weiß: Da war in aller Schuld einer, der sich verändert hat. Und so widmet der Schriftsteller sein neues Buch dem unbekannten Stasi-Mann. Damit ist zwar nicht alles auf einmal gut. Denn beide Männer tragen weiter an dem Unrecht und der Schuld der Vergangenheit. Aber es ist ein Zeichen der Versöhnung und sie können leben.
Solche Zeichen können auch wir setzen. Z.B. die Tochter anrufen, dem ehemaligen Kollegen einen Brief schreiben, den Ehepartner um Verzeihung bitten: „Du, was ich dir schon immer mal sagen wollte…“ – „Ich war dir gegenüber mehr als unfair…“ Das alles kann, so schwer es ist, wirklich eine Erleichterung sein. Denn denen, die es hören, tut es gut. Nicht immer wird es zur Vergebung und Versöhnung kommen – das ist mir auch klar. Aber die Schuld wiegt leichter, wenn sie mal ausgesprochen wurde. Und dass Menschen einander verzeihen – das gibt es nicht nur im Film.
Ihr
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
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