Oberster Gerichtshof stoppt Bürgerkunde-Boykott
(von Wochenblatt)
Das von Konservativen und Kirche bekämpfte Pflichtfach stellt keine „Indoktrination“ von Schülern dar
Ein Schulfach erregt seit fast zwei Jahren in Spanien die Gemüter und hat nun sogar dazu geführt, dass der Oberste Gerichtshof ein Machtwort sprechen musste. Die Rede ist von „Educación para la Ciudananía y los Derechos Humanos“, was im Deutschen kurz und bündig als „Bürgerkunde“ übersetzt werden kann.
Madrid - Das Fach wurde von der sozialistischen Regierung als Pflichtfach eingeführt, und zwar als Ersatz bzw. Ergänzung des bisherigen katholischen Religionsunterrichts.
In dem Fach, das seit September 2007 Pflicht an Spaniens Schulen ist, werden unter anderem Themen wie der Respekt vor der Völkervielfalt, der Geschlechtergleichheit, der Vielfältigkeit der heutigen Familienmodelle sowie der Abwehr des Rassismus und des Fremden- und Homosexuellenhasses behandelt. Alles im Rahmen und unter Wahrung der spanischen Verfassung und der universellen Menschenrechtserklärung.
Soweit also kein Grund zur Aufregung. Die katholische Kirche und die konservative Opposition sehen das jedoch ganz anders und bekämpften das Schulfach von Beginn an mit allen erdenklichen Mitteln. Das hat unter anderem zu den groteskesten Aktionen geführt. In der PP-regierten Region Valencia beispielsweise wurde aus Protest veranlasst, dass der Bürgerkunde-Unterricht nur in englischer Sprache erteilt werden darf. Das Vorhaben scheiterte nach wenigen Monaten an dem vehementen Widerstand eines Großteils der Lehrer, die, unterstützt von zahlreichen empörten Eltern, solange gegen den Unsinn der Aktion auf die Barrikaden gingen, bis die Regionalregierung einlenkte.
Weniger aufsehenerregend, dafür aber nicht minder wirkungsvoll, war der Protest einzelner Eltern, die „aus Gewissensgründen“ ihre Kinder nicht in den Unterricht gehen ließen. Diese Weigerung war mitverantwortlich dafür, dass sich der Oberste Gerichtshof in tagelangen Debatten mit der Angelegenheit beschäftigen musste. Am 27. Januar sind die Richter schließlich zu einer Entscheidung gekommen. Nach dem mit großer Mehrheit gefällten Urteil stellt die Bürgerkunde demnach in keiner Weise eine „Indoktrination“ der Schüler dar. Von daher bestehe auch in keiner Weise ein Recht darauf, den Unterricht „aus Gewissensgründen“ zu verweigern.