Nur ein kurzer Augenblick
(von Wochenblatt)
Gedanken für mich – Augenblicke für Gott
Es gibt von Nikos Kazantzakis, einem griechischen Schriftsteller, eine Geschichte, die mich immer wieder neu fasziniert und bewegt. Er erzählt darin von einer Menge Fische die im Meer schwammen und davon, wie plötzlich einer von ihnen einen Sprung machte und aus dem Wasser heraussprang, um Luft einzuatmen.
Dieser Fisch, so die Botschaft des Schriftstellers, hatte es nicht ausgehalten, das ganze Leben nur im Wasser zu verbringen und so sehnte er sich danach, dieses sein Schicksal zu überwinden, freie Luft zu atmen und ein Vogel zu werden. Nur für einen kurzen Augenblick, solange er es eben aushalten konnte, das genügte ihm vollkommen.
Dieser kleine Fisch ist ungeheuer mutig. Er lässt sich nicht von der Übermacht des Wassers beeindrucken; schon deshalb nicht, weil er es schlicht und einfach nicht glauben will, dass das Wasser seine einzige und letzte Wirklichkeit sei. Und so nimmt er eben seine ganze Kraft zusammen und springt über die Wasseroberfläche hinaus. Jetzt erkennt er: Es gibt hinter dem gewohnten und dem alltäglichen Lebenselement noch eine größere und weitere Dimension, von der er fast nicht zu träumen gewagt hat. Und wäre er nicht gesprungen, dann hätte er auch nie diesen Augenblick der Ewigkeit erfahren.
Solche bildhaften Geschichten sprechen immer auch von uns Menschen. Wer täte nicht gern einen solchen Sprung – heraus aus dem gewöhnlichen und ach so normalen Alltag; heraus aus all dem, was uns tagtäglich bestimmt und in Beschlag nimmt, beherrscht und nur allzu oft komplett in Beschlag nimmt; heraus aus aller Enge und Atemlosigkeit, die uns so oft zu schaffen macht. Einfach mal einen herzhaften Sprung ins Freie, in die Weite, um endlich mal wieder so richtig auftanken und aufatmen zu können. Ich glaube schon, dass Kazantzakis in dieser Geschichte vom springenden Fisch eine Sehnsucht beschreibt, die in jeder und jedem von uns lebendig ist und die man keinem Menschen rauben kann. Es ist das tiefe Verlangen nach Freiheit, nach Glück oder eben auch nach diesem kurzen Augenblick, der doch wie die Ewigkeit sein kann.
Der Sprung ins Weite – für viele bedeutet das auch ein heraus aus allen religiösen Vollzügen und Gebräuchen. Viele verbinden Religion und Glaube ja weit weniger mit Freiheit als vielmehr mit Unmündigkeit und Unterdrückung. Der Glaube an Gott vertrage sich nicht mit der Freiheit des Menschen, so lautet ihre felsenfeste Überzeugung. Und ich muss gestehen: Viele Beispiele aus der Geschichte unserer christlichen Kirchen scheinen dies zu bestätigen.
Gleichzeitig gibt es da aber auch die komplett gegenteilige Erfahrung. Nämlich dass Menschen im Glauben an Gott eine wunderbare Freiheit und Gelassenheit finden; dass Menschen das Gebet als einen Weg in die Weite erleben und sie in diesem Beten eine neue Sicht auf ihr Leben entdecken und so eine neue Kraft zur Bewältigung ihres ureigenen Lebensweges finden. Einer, der das selber erlebt und eben so befreiend erfahren hat, das ist der Beter und Dichter von Psalm 18, einen der wohl schönsten Texte im gesamten Alten Testament. Da heißt es unter anderem:
„Mich umfingen die Fesseln des Todes,
mich erschreckten die Fluten des Verderbens.
In meiner Not rief ich zum Herrn
und schrie zu meinem Gott.
Er führte mich hinaus ins Weite,
er befreite mich, denn er hatte an mir gefallen.
Du schaffst meinen Schritten weiten Raum,
meine Knöchel wanken nicht.
Darum will ich dir danken, Herr, vor allen Völkern,
will deinem Namen singen und spielen.“
Dieses Gebet – auch in seiner hier mehr als gekürzten Fassung – ist ein einziges Aufatmen, ja fast schon ein Luftsprung. Hier hat einer wirklich all Enge und Angst überwunden, ein Freigelassener, der ein wunderbares Lied anstimmt: Auch ein Augenblick der Ewigkeit – oder nicht?
Kann man nun aber ein solch hilfreiches Beten lernen? Vor kurzem las ich: Beten ist keine Kunst. Man kann es lernen, wie man lesen und schreiben lernen kann. Dazu braucht man keine angeborene Frömmigkeit. Was es allerdings erfordert, ist eine gewisse Aufmerksamkeit und Leidenschaftlichkeit für das Leben zu haben und vor allem die Fähigkeit, über den oft engen Horizont des Alltags hinauszuschauen und immer wieder seine Sehnsucht ins Wort zu bringen. Ja, man kann beten, wenn man weiß, wofür man beten will und soll.
Bertram Bolz, Diakon
Kath. Touristen- und
Residentenseelsorger
Diesen und frühere Artikel können Sie nachlesen unter: www.katholische-gemeinde-teneriffa.de oder www.wochenblatt.es